Lassen - Loslassen - Lösungen

Durch Supervisionsgruppenarbeit neue Wege finden

Eigentlich hatte alles ganz normal begonnen: Alle neun Mitglieder der Balintgruppe (berufsbezogene Supervision) waren froh, sich wieder zu sehen, und sich wieder einmal offen austauschen zu können über ihre schwierigen Patienten, über die "Sandkörnchen im Getriebe" Praxisteam, ihre Probleme beim Patientengespräch... . Doch dann: das Blitzlicht! - jeder sagt zum Einstieg einpaar Sätze, soweit er eben will, über sein momentanes Befinden, was er so mitgebracht hat und evtl angehen möchte - und schon wird spürbar: Allen sitzt die berufliche Zukunftsangst so obszessiv im Nacken, daß es nicht möglich sein wird, sich frei und unbelastet irgendeinem "Fall" zuzuwenden, solange diese Angst die Anwesenden noch so fest in den Fängen hält!
Also gut ! Eine Runde Brainstorming, der Angst klare Namen geben, und Lösungsideen sammeln, ganz unzensiert und unkommentiert, ganz ohne Wertung, so, wie ich es auch hier einfach weiter geben will.
Und da kommt alles, was den Kollegen schon lange den Schlaf raubt, im Magen drückt, das Herz schwer macht, die "Nackenhaare" sich sträuben läßt , die Gedanken (den Kopf) wie in einen Schraubstock spannt und schließlich zwischen den Zähnen zu einem lautlosen Nein der Ohnmacht zermahlen wird:
Die Ohnmacht gegenüber der Macht einer Gesellschaft, die von uns alle Pflichten einfordert ohne die Gegenleistung von Rechten und angemessenem Honorar.
Die Ohnmacht gegenüber der Macht einer Politik von Überzeugungstätern, Wählerstimmenzählern und Lobbyisten, für die wir mangels Masse nicht zählen.
Die Ohnmacht gegenüber der Macht der Medien, die ohne Gelegenheit zur Gegenwehr gegen die permanente Diskriminierung längst den gewinnträchtigen Sündenbock in uns ausgemacht haben. Die Ohnmacht gegenüber der Macht der Kassen, Beihilfestellen und Versicherungen, die, um ihr Gesicht zu wahren, alles und zum Nulltarif anbieten auf unsere Kosten.
Die Ohnmacht gegenüber der Macht der eigenen Standesvertretung, die sich zunehmend nicht mehr nach außen, sondern nach innen zu richten scheint mit höchst unklarer Interessenlage.
Die Ohnmacht letztlich auch innerhalb der Kollegenschaft im Umfeld, deren Leidensdruck noch immer nicht zum Schulterschluß und Solidarität ausreicht.
Aber auch Verständnis kommt auf:
Für eine Gesellschaft, in der die Mehrheit, voran die Arbeitslosen, Sozialfälle, Behinderte..., wenig Verständnis für die Untergangsstimmung eines Berufsstandes haben, der noch immer in Relation dazu einen "guten Schnitt" macht.
Verständnis auch für Menschen, die aus ihrem vorbewußten Schuldgefühl über die selbstzuverantwortenden Zahnschäden aggressiv reagieren auf jene, die ihnen zudem jetzt noch Unbehagen und Schmerz zufügen und dafür auch noch kassieren wollen für dieses doch so selbstverständlich gratis und in höchster Qualität zuzustehen scheinende wichtigste Gut: Gesundheit.
Verständnis dabei auch für eine Politik, für die Haltung von Medien und Kostenträgern, die dieser Stimmung im eigenen Interesse Rechnung tragen.
Viel weniger Verständnis taucht da schon auf für die eigene Standesvertretung, die inakzeptable Berufs- und Vertragsbedingungen letztlich doch seit Jahren immer wieder mit trägt.
Und gerade wieder in diesen Tagen geben jene ihren ureigensten von der Basis erhaltenen Auftrag, genau dies zu ändern und selbst geeignete Öffentlichkeitsarbeit in der Bevölkerung zu betreiben aber einfach an die Praxen zurück: Die Basis ist es weiterhin, die mit Abdingung o.ä. eher schlecht als recht den Schaden ausgleichen soll und andererseits mit teuren teilweise polemisierenden Infos und Demos und Praxisschließungen selbst noch jene Politiker und natürlich auch die Patienten verprellen muß, die irgendwo noch verständnis- und verhandlungsbereit gewesen wären. Immer weiter soll mit den Patienten in der Praxis politisiert werden, wo man doch in jedem besseren Marketingkurs hören kann, daß Politik hier eher das Vertrauensverhältnis stört! Wenn dann noch ein selbst in einer KZV tätiges Gruppenmitglied berichtet, daß die Frage nach dem unverständlichen HVM, der die kassenumsatz- und Schein -starken Praxen kaum spürbar tangiert, die kleineren aber gefährdet, aus berufenem Munde so beantwortet wird, daß dies eben, wenn nicht gar beabsichtigt so doch hinzunehmen sei, steht die Frage gleich im Raum, um wessen "Erhalt" es hier eigentlich wohl geht.
Freilich, auch von ersten Lösungsansätzen wird berichtet: Da tun sich vereinzelt Kollegen zusammen zu Anzeigenkampagnen, sprechen über verbindliche Grenzen von Kassenleistung und Mindesthonoraren, verweigern ihre Teilnahme an der pseudodemokatischen Pflicht, Z.B. bei Körperschaftswahlen irgendwo nur dem kleinsten Übel auch noch die eigene Stimme zu geben, schreiben persönliche Briefe in angemessenem Ton an ihre regionalen Abgeordneten, suchen die echte Solidarität mit ihren Patienten jenseits von Ideologien und Indoktrinationen und verhandeln den fairen Interessenausgleich mit den Kassen am Ort.
Die wichtigste Erkenntnis an diesem Tag aber liegt auf einer ganz anderen Ebene: Das Erkennen der Notwendigkeit, die Spiele um die Macht - und Ohnmacht - zu durchbrechen. Denn woraus sonst wächst die Macht aller hier genannten Gruppierungen gerade auch uns gegenüber, als aus deren eigenen Ängsten und Gefühlen minderwertig, unterlegen, benachteiligt und ausgeliefert zu sein, genau die Gefühle, die wir jetzt wahrnehmen und so gerne mit mehr Macht beruhigen würden. Wie aber einen solchen sich aufschaukelnden Kreislauf durchbrechen? Ändern können wir doch nie die Anderen, nur uns selbst, etwas in uns selbst, unsere innere Haltung. Was würde wohl geschehen, wenn wir die bekannten säbelrasselnden Machtspielchen, die letztlich doch nie wirklich und anhaltend erfolgreich waren, einfach lassen? Wenn alte Wege nicht mehr zum Ziel führen - ist dann nicht jeder Versuch eines jeden neuen Weges besser als der alte ausgetretene? Was, wenn wir uns und die Anderen wieder als Menschen und nicht als Bestien wahrnehmen könnten - und nicht einmal ein Wolf tötet einen anderen Wolf, wenn dieser ihm in aussichtsloser Lage die ungeschützte Seite (den freigelegten Hals) anbietet! - Sicher, dazu müßten wir erst einmal den Mut fassen können, die eigenen Ängste loszulassen - ein nur scheinbares Paradox, welches mit Bewußtheit der Irrationalität unserer Ängste zu bewältigen wäre, so wir nur wollten! - Denn was können uns die Anderen denn wirklich anhaben? Haben jene denn wirklich Macht über unser Leben, oder auch nur über unsere Gesundheit? Doch wohl nur, wenn wir selbst ihnen und ihrem Tun soviel Bedeutung zumessen, daß uns die Angst schon krank macht. Können jene wirklich schon unsere Existenz infrage stellen? Das werden sie doch im eigenen Interesse mit einem Monopolisten nicht tun. Natürlich, die "Habenseite " unseres Lebens könnte sich verändern. Schmerzlich, ärgerlich! Aber doch, wie jede Krise, nicht ohne Chance: Liegt hier denn nicht schon wieder eine neue Perspektive bereit zu mehr "Sein" statt nur zu "Haben", ist "weniger" nicht oft schon "mehr" gewesen - mehr Zeit, mehr Kraft z.B. für andere Bereiche des Lebens? - Und verwechseln wir auch solche Sichtwechsel nicht mit Schönreden, saurer Traubenpolitik oder Opium fürs (Zahnärzte-) volk! Es geht auch nicht um fatalistische Fügsamkeit. Wir müssen schon unsere Interessen energisch vertreten. Aber es geht ums Loslassen von aus irrationalen Ängsten gesteuerter Verbissenheit und Aggressivität, und ums noch erkennen können noch immer vorhandener Ressourcen und positiver Seiten des Geschehens.

Mit wem würden Sie denn lieber verhandeln, wem eher Zugeständnisse machen?


Mit dem?
  Oder mit dem?